Der Generationenvertrag im Stresstest. Erwachsene investieren sich in Kinder, weil diese schutzbedürftig sind. Im besten Fall geben sie die Förderung aus der eigenen Kindheit weiter an die nächste Generation. Erwachsene investieren sich auch in ältere Menschen, die früher oder später ohne Unterstützung überfordert wären. Der Generationenvertrag geht davon aus, dass ich mich investiere, im Vertrauen darauf später ebenfalls Unterstützung zu erfahren. Das gilt im Privaten genauso wie in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Was muss gewährleistet sein, damit sich dieses Vertrauen entwickeln kann? Und was hält dieses Vertrauen über lange Zeit hinweg aufrecht, bevor ich statt selbst zu investieren, Nutznießer*in eines gesellschaftlich ausgehandelten Generationenvertrages werde?
Es ist just jener Tag Ende Oktober, an dem die „Wir schaffen das“-Kanzlerin nach Nürnberg gekommen ist, um beim „Bürgerdialog“ in der Jugendherberge auch über Flüchtlinge zu sprechen. Zur selben Zeit sitzen acht Schüler des Nürnberger Dürer-Gymnasiums im Gostner Hoftheater an ihren Laptops und bearbeiten ihre Artikel über Nürnberger Künstler, die wie sie selbst ausländische Wurzeln haben. Doch Wörter wie Migrant oder Ausländer, das ist die Vorgabe, sollen in den Texten möglichst nicht vorkommen. Drei Stockwerke höher üben acht weitere Dürer-Schüler für eine Talkshow mit eben diesen Künstlern. Auch hier gilt: Sobald die Herkunft der Talkgäste ohne guten Grund thematisiert wird, unterbricht ein Schiedsrichter das Gespräch mit einer Glocke. Für diesen Artikel gilt das nicht.
Das Projekt heißt „Druckerschwärze“ und wurde von dem Sozial- und Theaterpädagogen Jean-François Drozak, 41, entwickelt. Er ist Sohn einer Brasilianerin und eines Belgiers mit polnischen Wurzeln, wuchs in São Paulo auf, zog mit sechs Jahren nach Brüssel, mit zehn nach München und lebt seit bald 20 Jahren in Nürnberg – einer Stadt, in der fast ein Fünftel der Einwohner einen ausländischen Pass haben und gut 40 Prozent aus Zuwandererfamilien stammen. Drozak hat drei Pässe, und wenn man ihn fragt, als was er sich fühle, antwortet er mit einem Lächeln, das signalisiert: eine oft gestellte, aber doofe Frage. „Ich bin nicht defizitär, weil ich nicht zu 100 Prozent Deutscher, Brasilianer oder Belgier bin. Ich bin 300 Prozent – Bayer, Brasilianer, Belgier.“